Selber nähen statt kaufen – der Start in unser shoppingfreies Jahr

Zugegeben, ich war wirklich noch nie ein Shopping-Fan. Ich habe im Baumarkt mehr Spaß als beim Klamottenkauf und so enden Kleiderkäufe bei mir oft im Internet. Das Resultat: mitunter schlechtsitzende Kleidung, die gar nicht wirklich zu mir passt. Wenn ich mich dann, um genau das zu vermeiden, doch mal zum Einkaufengehen entschließe, finde ich zwar fast immer ein schönes Kleidungsstück, aber sofort geht das Kopfkino los: Der Schnitt ist toll, aber in diesem Polyester-Stoff werde ich mich ganz sicher nicht wohlfühlen. Der Stoff fühlt sich super an, das Kleid sieht an mir aber aus wie ein Sack etc. Warum also nicht einfach selber nähen? Gedacht, getan.

Top mit Schleife nach einem Schnittmuster aus der Burda 07/2019

Das Nähen habe ich schon in der Schule gelernt, zumindest wusste ich grundsätzlich, wie man eine Nähmaschine bedient und gerade Nähte (theoretisch) hinbekommt. Vor Jahren habe ich mal ein paar Hosen mit einer No-Name-Nähmaschine genäht, nach einigen Fehlschlägen, Umzug und Co. dann aber lange keinen Faden mehr gerührt. Doch das Thema Nähen hat mich nicht losgelassen und je älter mein Sohn wird, desto präsenter wird es, denn mit nur acht Jahren, trägt er oft schon Kleidung für 12-Jährige und die wird mit jeder Größe langweiliger. Hinzu kommt, dass seine Haut mitunter auf Polyester reagiert und es gar nicht so leicht ist, Kleidung aus Naturfasern zu vernünftigen Preisen zu bekommen. Also habe ich beschlossen, mir eine einfache Nähmaschine von Singer zuzulegen und einfach mal wieder herumzuprobieren. Das erste Resultat war eine luftig-leichte Hose für meinen Sohnemann und ein Shirt aus der Burda (Ausgabe Juli/2019) für mich. Das Shirt habe ich aus einem senfgelben Viskose-Jersey genäht (95 % Viskose, 5 % Elastan). Das Schnittmuster hat mich gereizt, weil es wirklich ganz einfach war, durch das Band an einer Schulter aber ein cooles Detail erhält. Die Hose (unten findet ihr ein Foto) habe ich nach dem kostenlosen Schnittmuster Happy Ben(te) von Happy Pearl aus einem leichten Baumwollstoff in Jeansoptik genäht. Sie ist wirklich perfekt für warme Sommertage geeignet.

Obwohl längst nicht jede Naht so sitzt, wie ich es gern hätte, hat mich das Nähfieber gepackt. Gleichzeitig merkt man beim Nähen aber auch, wie viel Zeit dabei eigentlich drauf geht – Zeit, die bei mir selbst immer knapp ist.

Fast-Fashion versus Menschenwürde

Bei jedem neuen Kleidungsstück überlegte ich insgeheim, wie lange es gedauert hat, es zu nähen. Und je schneller ich werde, desto öfter frage ich mich, was eigentlich längst bekannt ist: Wie kann eine Näherin überleben, wenn ein Shirt zu Fast-Fashion-Preisen in Modeketten wie H&M, C&A etc. verkauft wird? Selbst bei Stoff-Großhandelspreisen etc. gibt es einen Punkt, ab dem Nähzeiten selbst in radikal durchorganisierten Fabriken nicht mehr reduzierbar sind und es ist unmöglich, dass in der großen Kette der Kleiderherstellung beim Näher/der Näherin selbst noch ein menschenwürdiges Gehalt übrigbleibt. Hintergrundinformationen hierzu sind beispielsweise beim FEMNET e.V. zu finden. Wie der Verein berichtet, sind in Bangladesch die Löhne so niedrig, dass die Näherinnen bis zu 100 Überstunden monatlich machen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Derweil kaufen wir Kleidung oft nicht, weil wir sie brauchen, sondern weil wir beim Blick in den überfüllten Kleiderschrank feststellen, für den Anlass XY nichts Passendes zum Anziehen zu haben. Oder wir kaufen, wie es bei mir oft der Fall war, Kleidung zu reduzierten Preisen im Internet, die wir dann gar nicht anziehen, weil sie ganz einfach schlecht verarbeitet ist oder Ähnliches.

Die Alternativen: Bewusst kaufen und selber nähen

Die Alternativen liegen auf der Hand: fair produzierte Kleidung kaufen oder einfach selbst nähen. Der Nachteil beim Selbernähen ist, dass man damit eher passiv als aktiv zu einer Lösung des Problems beiträgt, denn auch die Näherinnen in Bangladesch müssen ja von etwas leben und reduzieren sich die Aufträge in der Textilindustrie, gehen Arbeitsplätze verloren. Wer selbst näht, tut aber auf jeden Fall etwas gegen den Fast-Fashion-Trend, denn hat man mal einen ganzen Nachmittag (oder mehr) damit verbracht, ein Shirt, ein Kleid oder eine Hose zu nähen, mit all den Schritten, die dazugehören, lässt man das Teil sicher nicht mehr ungeachtet im Schrank liegen, um einen Monat oder gar eine Woche später schon wieder nach etwas Neuem Ausschau zu halten.

Wer selber näht, achtet zudem oft bewusst auf die Auswahl hochwertiger Stoffe. Warum das wichtig ist? Einerseits tut man sich damit selbst einen Gefallen – so fühlen sich hochwertige Naturfasern beispielsweise wesentlich angenehmer auf der Haut an als billige Chemiefasern. Andererseits kann man mit der bewussten Auswahl fairer Stoffe ein Zeichen nicht nur gegen die Ausbeutung der Näherinnen, sondern gegen die Arbeitsbedingungen in den Spinnereien setzen. Hier werden junge Mädchen und Frauen mitunter wie Sklavinnen „gehalten“, vom Einsatz von Chemikalien, die sich in unserer Kleidung befinden, mal ganz zu schweigen. Gerade, wenn man Kinder hat, ist man eher bereit (und ist es umso wichtiger), mehr Geld für unbedenkliche Kleidung auszugeben, zugleich sitzt der Gürtel enger und so schnell wie die Kleinen wachsen, ist es für den Normalbürger finanziell häufig einfach nicht realistisch, ökologisch unbedenkliche, nachhaltige und fair produzierte Kleidung zu kaufen.

Ich habe daher beschlossen, einfach mal ein shoppingfreies Jahr einzulegen und unsere Kleidung einfach selbst zu nähen. Ausnahme hierbei werden sicher Socken und Unterwäsche sein, vielleicht auch Winterjacken, doch auch hierbei kann man vieles selbst nähen und ich bin gespannt, wie meine Anfänger-Nähversuche hierbei ausfallen werden. Hier werde ich euch von meinen Erfolgen und Misserfolgen berichten. Und wer nicht ganz so radikal sein, aber trotzdem fairer konsumieren möchte, dem sei der Fast Fashion Guide von FEMNET ans Herz gelegt.

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